Acorn

Reviews

Copyright: CHIP, Ausgabe Juni 1981
Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Vogel-Verlags!


Großer kleiner Bruder

Der Home-Computer Electron der englischen Firma Acorn zielt mit Preis und Leistung genau auf den Markt, der in Deutschland von Namen wie C-64 und Atari 600/800XL beherrscht wird.

Acorn konnte mit seinem BBC Micro und dem dafur konzipierten Computer-Fernsehkurs in England zwar achtbare Erfolge erzielen. Breiteren Käuferschichten blieb der BBC Micro jedoch aufgrund seines relativ hohen Preises (runde 2000 Mark) verschlossen. Der neue Electron ist für weniger als die Hälfte zu haben und zum BBC Micro weitgehend kompatibel. Während der Erfolg des Electron in England aus diesem Grunde vor programmiert zu sein scheint, wird er sich bei uns erst noch einstellen müssen. Die Konkurrenz ist hart, und die Publicity-Vorgabe durch den Fernseh-Show-Effekt entfällt.

Ausbau vorgesehen

Der Electron ist äußerst kompakt und erinnert in dieser Hinsicht an den Atari 600/800XL. Auf den ersten Blick fällt auf, dass der Computer mit dem sehr praktischen One-key-BASIC ausgestattet ist: Knapp dreißig Tasten sind nicht nur mit einem einzelnen Zeichen, sondern auch mit den häufigsten BASIC-Vokabeln beschriftet, die zusammen mit einer Funktionstaste aufrufbar sind. Die Zifferntasten sind zusätzlich als frei definierbare Funktionstasten verwendbar, deren Belegung sich mit dem KEY-Befehl recht einfach gestaltet.

An Anschlüssen linden sich seitlich links die Buchsen für einen Kassettenrekorder und ein Sichtgerät. Wahlweise kann ein Monitor über Video- oder RGB-Ausgang oder ein Fernsehgerät über einen HHF-Ausgang angeschlossen werden. Rechts wird das externe Netzteil mit dem Computer verbunden. Leider muss diese Steckverbindung auch als Ein-/Ausschalter herhalten, denn der Electron ist damit nicht ausgestattet, ein Sparversuch, den wir für unnötig kleinlich halten.

An der Computerrückseite schließlich findet sich eine 24polige Steckleiste, die für den Anschluss eines Erweiterungsmoduls vorgesehen ist. Uber diese Erweiterung sollen die  Schnittstellen für diverse Peripheriegeräte verfügbar werden. So weit wir erfahren konnten, wird dann dem Anschluss eines Druckers, eines Diskettenlaufwerks, Joysticks, Paddles und einer ROM-Erweiterung nichts mehr im Wege stehen. Auch die Eingliederung des Electron ins Acorn-Netzwerk Econet soll über das Erweiterungsmodul möglich sein. Über dessen Verfügbarkeit und vor allem über die zusätzlichen Kosten war zum Zeitpunkt dieses Tests nichts verbindliches zu erfahren.

Wirft man einen Blick ins Innere des Electron-Gehäuses, so fällt sofort ein großer quadratischer Chip mit einem etwas ungewöhnlichen Aussehen auf. Es ist ein sogenanntes Gate Array, eine physische und logische Zusammenfassung der wichtigsten Systemchips zu einer Einheit. Gate Arrays haben einige Vorteile gegenüber dem normalen Nebeneinanderstecken von Einzelchips: Der Platz und Energiebedarf ist geringer, und die Logik-Architektur bleibt verborgen und ist damit weitgehend vor Kopierversuchen geschützt.

Da sich Gate Arrays andererseits nur in großen Stückzahlen wirtschaftlich herstellen lassen, ist ihre Verwendung auch mit einem gewissen Risiko verbunden. Die Inbetriebnahme des Electron verursachte keine Schwierigkeiten. Allerdings brachte der Farbmonitor den wir bisher an die meisten Home-Computer erfolgreich anschließen konnten, über den Video-Ausgang nur ein Schwarz-Weiß-Bild
und über den RGB-Ausgang gar nichts. Offenbar sind hier Spezialkabel erforderlich. Der Anschluss unseres Kassettenrekorders und auch eines Farbfernsehers über den UHF-Ausgang machte darin allerdings keine Probleme.

Die mitgelieferten Software-Kassetten und unsere eigenen kleinen Testprogramme verschafften uns damit einen recht guten Überblick über die Leistungsfähigkeit dieses Home-Computers.

Leistungsfähiges BASIC

Die allgemeinen Möglichkeiten des Electron liegen im Rahmen dessen, was vergleichbare Produkte aufweisen, wobei eher die Extras überwiegen als das, was fehlt. Zunächst fällt schon beim Durchblättern des erfreulich dicken Anwenderhandbuchs auf, dass der Electron mit einem ungewöhnlich umfangreichen BASIC ausgestattet ist. Aber nicht nur das: Ein eingebauter Interpreter/Assembler ermöglicht auch die Integration von Maschinenprogrammen innerhalb eines BASIC-Textes. Um die praktische Anwendung dieser „Zweisprachigkeit“ zu erleichtern, gibt es nicht nur eine Reihe von bei vergleichbaren Rechnern unbekannten BASIC-Befehlen, der Electron verfügt auch über einen speziellen Befehlssatz (*FX-Befehle), der eine recht weitgehende Kontrolle über das Betriebssystem erlaubt.

Alle diese Eigenschaften sind – sogar in erheblich weiterem Umfang – auch bei Electrons großem Bruder, dem BBC Micro, implementiert. Da dieser Computer in Deutschland jedoch wenig bekannt ist, wollten wir diese Leistungsmerkmale hier nicht unerwähnt lassen.

Daß der Electron über Befehle wie RENUMBER (mit Neuberechnung von Sprungbefehlen), TRACE, CHAIN oder OLD (Zurückholen von durch NEW oder BREAK verlorengegangenen Programmen) verfugt, ist erfreulich, aber nicht sensationell. Ähnliches gilt für den üblichen Befehlssatz für Grafik- und Tonerzeugung. Zum letzteren ist dabei zu sagen, dass der Electron zwar über vier Tonerzeugungsregister verfügt, verwendbar sind jedoch nur zwei.

Andere Teile des Befehlssatzes sind jedoch durchaus bemerkenswert. So sind im Acorn-BASIC, ähnlich wie in Pascal, Prozeduren definierbar, die auch mit lokalen Variablen arbeiten können. Des weiteren ist während eines Programmablaufs die Eingabe von Funktionen oder Formeln möglich. Bei den meisten anderen BASIC-Versionen geht das nur über einen DEF-Befehl, der fest im Pragramm stehen muss. Und schließlich ist da die erwähnte umfangreiche Befehlspalette, die vornehmlich für Assembler-Programmierer von wesentlichem Interesse sein dürfte. Sie geht weit über die üblichen PEEK und POKE-Möglichkeiten hinaus und gestattet die Manipulation von Pointern, das Verschieben von Speicherbereichen, den Austausch von Variablen und Parametern zwischen BASIC- und Maschinenprogrammen, vor allem aber auch das Speichern, Lesen und Manipulieren von reinen Zahlendateien, woraus Assembler-Programme ja letztendlich ausschließlich bestehen.

Zwei Kritikpunkte

Die zwei wesentlichen Kritikpunkte beim Electron betreffen den Editor und die Fehlerbehandlung. Der Editor arbeitet mit einem Doppelcursor. Wenn man mit den Cursortasten auf dem Bildschirm umherfährt, so bleibt ein Cursor an der verlassenen Stelle stehen und der andere bewegt sich Veränderungen werden nur dort ausgegeben, wo der erste Cursor steht, wobei eine COPY-Taste aber immerhin das Übernehmen der vom zweiten Cursor fixierten Stelle ermöglicht. Nach unserem Eindruck bringt diese Editierweise auch bei der entsprechenden Übung keine Vorteile gegenüber der üblicheren direkten Zeileneditierung, die doch unkomplizierter zu handhaben ist.

Die Fehleranzeige besteht normalerweise nur aus einer MISTAKE-Meldung, ohne Angabe von Position und Ursache des Fehlers. Zwar gibt es die M̦glichkeit, diese beiden Angaben abzufragen. Aber auch hier leuchtet nicht ganz ein, was der Vorteil von diesem Umstand ist. Im Gesamteindruck fallen diese beiden Kritikpunkte freilich kaum nennenswert ins Gewicht. Рge

CHIP-Wertung:

Was uns gefällt:
– komfortables BASIC,
– viele Hilfen für Assemblerprogrammierer,
– eingebauter Assembler

Was uns weniger gefällt:
– umständlicher Editor,
– umständliche Fehlerbehandlung

Technische Daten:
CPU: 6502A
RAM: 32 KByte
ROM: 16-KByte-Betriebssystem, 16-KByte-BASIC-Interpreter
Display: 6 Grafik-Modi, Auflösung zwischen 1600 x 256 und 640 x 256 Einzelpunkte, 2 Text-Modi, 80 oder 40 Zeichen auf 25 Zeilen
Farben: maximal acht Farben
Sound: je ein Geräusch- und Tongenerator
Tastatur: englischer Zeichensatz, 10 Funktionstasten, 29 Tasten mit BASIC-Befehlen belegt
Programmiersprachen: BASIC- und Assembler Interpreter