IBM – Fortsetzung

     
Mit dem Eintritt von Thomas J. Watson bei C-T-R im Jahre 1914 begann die Umwandlung dieser Firma in ein straff organisiertes und äußerst erfolgreiches Unternehmen.

Von Hollerith zu IBM – Die frühe IBM

Thomas J. Watson und John Patterson

Jener fast schon legendäre Thomas Watson hatte, aus ärmlichen Verhältnissen kommend, bei der noch heute existierenden Traditionsfirma ‚National Cash Register‘ (NCR) Karriere gemacht, wo er 1895 als einfacher Verkäufer begonnen und sich 18 Jahre später zum zweitmächtigsten Mann der Firma emporgearbeitet hatte. Dabei sammelte er Erfahrungen in der harten Schule des Firmeninhabers John Patterson, der mit seiner Philosophie eines verkaufsorientierten Unternehmens radikale Neuerungen eingeführt hatte. Nahezu alles, was später zum legendären Ruf Watsons und von IBM beitrug, kann auf Methoden Pattersons zurückgeführt werden.

Statt auf technischen Fortschritt zu setzen, stellte Patterson den Verkäufer in den Mittelpunkt des Unternehmens. Er legte Wert auf ein gepflegtes Erscheinungsbild seiner Verkäufer und Vertreter; sie erhielten ein überdurchschnittliches Gehalt, das sich durch Prämien weiter erhöhen konnte. Jeder Verkäufer hatte eine strenge firmeninterne Schulung zu durchlaufen, in der Patterson ihnen persönlich seine Überzeugungen in Form von Schautafeln und Slogans vermittelte. In besonderer Weise war er auf die Zahl Fünf fixiert: Es gab fünf Finger, fünf Sinne, fünf Geldarten (Gold, Silber, Kupfer, Nickel, Papier), und so fasste er jeweils fünf Schlagworte zu einem Slogan zusammen, beispielsweise die fünf ‚Hohen C‘: »Conception – Consequence – Cooperation – Courage – Confidence« (Vorstellung – Konsequenz – Kooperation – Mut – Vertrauen).

Als Watson bei NCR zu mächtig wurde und sich mit dem Firmeninhaber zerstritt, entließ ihn Patterson kurzerhand, worauf ihm Watson, seiner offiziellen Biographie zufolge, Rache schwor. Im Alter von bereits 40 Jahren begann er 1914 bei C-T-R eine neue Karriere, um dort Pattersons Prinzipien von einer verkaufsorientierten Unternehmensführung radikal umzusetzen. Watson übernahm auch Pattersons Vorliebe für Slogans und markigen Sprüche; sein Motto »THINK« wurde weltweit bekannt (die Arbeiter einer benachbarten Schuhfabrik zogen des öfteren am Gebäude von C-T-R vorbei und sangen ein Spottlied: »While you’re thinking, we’re drinking…« [16]).

Schon wenige Jahre später übernahm er die Führung des Unternehmens und trat so die geistige Nachfolge Herman Holleriths an. Watson stellte neues Verkaufspersonal ein und senkte die Preise, um mehr Aufträge zu bekommen. Bald vermietete C-T-R 2500 Maschinen an 650 Firmen; so konnten pro Monat mehr als 100 Millionen Lochkarten verkauft werden. Watson leitete die Firma mit einem fast schon religiösen Eifer, es gab sogar ein firmeneigenes Gesangbuch (»… Mr. Watson ist ein Mann / den man wirklich preisen kann. / Er führt das C-T-R / und ist ein Mann von Treu und Ehr. / Hört Ihr Leut und gebt fein acht / er zeigt uns, wie man Kohle macht.« [16]).

1924 wurde C-T-R in ‚International Business Machines‘ (IBM) umbenannt. Watson blieb Präsident bis ins Jahr 1952, sein Sohn Thomas Watson Jr. wurde sein Nachfolger. Thomas J. Watson Sr. starb 1956 im Alter von 82 Jahren.

IBMs Büromaschinen

Bei C-T-R zehrte man noch lange von Holleriths Entwicklungen. Seine Praxis, Geräte zu vermieten anstatt sie zu verkaufen, wurde beibehalten. Statt auf Innovation setzte man auf die Verbesserung vorhandener Produkte. Treibende Kraft waren dabei die Wünsche der Kunden, die die Hollerith-Maschinen benutzten. Es wurden zum Beispiel Buchungsmaschinen benötigt, die ein Saldo (Differenz zwischen Soll und Haben) berechnen konnten; also integrierte man die Subtraktion. Außerdem wurden die Maschinen mit Druckwerken ausgestattet, die nicht nur das Rechenergebnis, sondern bald auch alphanumerische Zeichen zu Papier bringen konnten. Die Rechenfähigkeiten wurden weiter ausgebaut; in den dreißiger Jahren beherrschten die Buchungsmaschinen alle Grundrechenarten.

Rechenstanzer

Einen weiteren Schritt in Richtung Universalrechner stellten die sogenannten Rechenstanzer (calculating punches, calculators) der dreißiger Jahre dar. Sie waren in der Lage, eine Lochkarte auszuwerten, eine Berechnung auszuführen und das Ergebnis dann auf dieser Lochkarte einzustanzen. Dies unterschied sie von den Tabellier- und Buchungsmaschinen, die ein Rechenergebnis nur intern in einem sogenannten Akkumulator speichern und nach einem kompletten Arbeitsgang anzeigen oder ausdrucken konnten.

Zur Steuerung einer solchen, schon recht komplexen Maschine wurden auswechselbare Schalttafeln (plugboards) verwendet, die denen einer Telefonvermittlung ähnlich waren und auf eine Idee Holleriths zurückgingen. Mit Hilfe von Steckkabeln konnte darauf die Interpretation der Lochkarte sowie die auszuführenden Operationen, also die gesamte Kontrollogik des Rechenstanzers, implementiert werden. Die korrekte Verkabelung einer Schalttafel dauerte Wochen und Monate; die Tafel stellte dann jedoch das ‚Programm‘ eines bestimmten Arbeitsgangs, beispielsweise der Lohnabrechnung, dar. Zwar erreichte man dadurch eine gewisse Programmierbarkeit und konnte eine Maschine für verschiedene Arbeitsgänge verwenden; Schalttafeln konnten jedoch nur kurze, immer gleiche Zyklen steuern. Aufgrund des starren Synchronismus zwischen Kontrolle und Kartenmechanik waren nur Vorwärtssprünge im Kontrollablauf möglich.

Bekanntester Vertreter der Rechenstanzer war das IBM Modell 604, das in den vierziger Jahren auf den Markt kam. Es verwendete bereits Röhrentechnik und konnte so wesentlich schneller rechnen als die elektromechanischen Modelle. Außerdem bot es Speicher für 32 Ziffern; über die Schalttafel konnten 20 (später 60) Arbeitsschritte programmiert werden. Dadurch eröffnete sich ein weites Verwendungsfeld, und die 604 wurde zum »Arbeitspferd« vieler Betriebe; noch 1975 waren von den 5600 verkauften Maschinen 400 Stück im Einsatz.

Die Lochkarte

Die Lochkarte war lange Zeit das prägende Symbol für die Datenverarbeitung und wurde in dem 1928 eingeführten 80-stelligen Standardformat von der Größe einer 1-Dollar-Note bis in die achtziger Jahre hinein verwendet, hatte dann jedoch gegen magnetische und optische Speichermedien keine Chance mehr.

Sie bot im Vergleich zu heutigen Massenspeichern allerdings auch gewisse Vorteile (zitiert nach einer IBM-Publikation von ca. 1975): Sie war zunächst einmal billig, was sich allerdings im Vergleich zur Kapazität relativiert, und, im Gegensatz zu einer Diskette, mechanisch mischbar, außerdem sowohl maschinell als auch visuell lesbar. Vor allem aber bot sie ein Signal-Störverhältnis mit dem überragenden Wert von mehr als 106, denn die eingestanzten Löcher waren natürlich deutlich zu erkennen.

Kaufmännische Anwendung

Auch nach dem Aufkommen der ersten Computer in den fünfziger Jahren ging die Entwicklung der Buchungsmaschinen und Rechenstanzer weiter und verlief bis in die sechziger Jahre parallel dazu. Im Gegensatz zu den Computern waren die Hollerith-Maschinen etabliert und ausgereift, boten verlässliche Technik und waren erschwinglich. Ihre Stärken lagen in der Verarbeitung vieler gleichartiger Daten mit wenigen Operationen, wie sie zum Beispiel bei Kontenbewegungen, Lohnabrechnungen und bei der Lagerverwaltung anfielen. Die ersten Computer wurden daher lange Zeit fast ausschließlich für wissenschaftliche Anwendungen verwendet.

In den fünfziger Jahren wurden spezielle Computer für kaufmännische Anwendungen entwickelt, zum Beispiel das IBM Modell 702: Er arbeitete zeichen- statt wortorientiert und bot eigens Maschinenbefehle, um beispielsweise führende Nullen vor Zahlen zu streichen oder Dezimalpunkte einzufügen. Dies zeigt deutlich, dass man zu dieser Zeit den Computer noch nicht allgemein als universellen Symbolverarbeiter, sondern als spezielle Maschine zur Lösung spezieller Probleme ansah.

Der CPC (1949)

Am Übergang vom Rechenstanzer zum Computer steht der CPC, der »Card-Programmed Electric Calculator«. Hierbei handelte es sich um die Kopplung eines Rechenstanzers vom Typ 604, der als Rechenwerk fungierte, mit einer Buchungsmaschine, die Register zur Verfügung stellte und Daten ausdrucken konnte. Zusätzlich war eine elektromechanische Speichereinheit (für 16×10 Ziffern) angeschlossen (außerdem befand sich ein kleines Wägelchen im Lieferumfang, um die Lochkartenstapel zu transportieren [9]).

Programmierbar war der CPC über die Lochkarten, in die Befehlscodes eingestanzt werden konnten, welche dann über die Schalttafel interpretiert wurden. Der CPC arbeitete mit einem Drei-Adress-Format: Zwei Zahlen, die aus dem Speicher, einem der Register oder der Karte selbst stammen konnten, wurden miteinander verknüpft und das Ergebnis an einer dritten Stelle abgelegt. Durch die Auslagerung der Steuerung von der Schalttafel auf die Lochkarte konnten umfangreichere Programme verwendet werden.

Der CPC war ein sehr erfolgreiches Produkt, bis 1956 waren etwa 700 Stück installiert. Er bot universelle Rechenleistung lange bevor echte Computer verfügbar waren. Im Gegensatz zu anderen IBM-Geräten wurde er nicht im kaufmännischen Bereich, sondern in Wissenschaft und Forschung eingesetzt (hier vor allem in militärischen Bereichen wie Flugzeugbau, Raketen- und Kernforschung [13]).

IBMs Kontakt mit der Wissenschaft

Die Ausweitung der Produktpalette IBMs von reinen Büromaschinen (die ja auch im Firmennamen verankert sind) auf Rechengeräte und Computer für den technisch-wissenschaftlichen Bereich begann in den dreißiger Jahren. Die Brücke schlugen hierbei die Astronomen. Sie waren seit Leibniz‘ Zeiten an der Anwendung von Rechenmaschinen interessiert, um damit astronomische Tabellen zu berechnen. Auch im Werk von Charles Babbage finden sich astronomische Berechnungen als Motiv für seine Rechenautomaten. [5]

Pionier für die wissenschaftliche Anwendung von Tabelliermaschinen war der Astronom Leslie Comrie am Royal Naval College in England, wo er ab 1928 mit Hilfe von Hollerith-Maschinen Mondpositionen berechnete. Auf Bestreben des Astronomen Wallace J. Eckert (nicht zu verwechseln mit J.P. Eckert, dem Mitentwickler des ENIAC) stiftete Watson 1933 der Universität von Columbia das »Thomas Watson Astronomical Computing Bureau«, IBMs erster Kontakt mit wissenschaftlichen Anwendungen. Von dort gingen wichtige Impulse zur Entwicklung von Rechenmaschinen für wissenschaftliche Zwecke aus, so der Kontakt zu Howard Aiken, dem Entwickler des ASCC (MARK I).

Der SSEC (1948)

Zusammen mit dem CPC steht eine weitere Maschine an der Schwelle zum ersten echten Computer von IBM: der »Selective Sequence Electronic Calculator« (SSEC). Er wurde 1948 fertiggestellt und sollte dem Großrechner ENIAC, der bereits seit zwei Jahren existierte, das Fürchten lehren.

Seine entscheidende Neuerung war die Von-Neumann-Architektur: Der SSEC hatte (im Gegensatz zum schalttafelgesteuerten ENIAC) ein extern gespeichertes Programm (»sequence«), dessen Befehle er wie Daten behandeln konnte. Es gab bedingte Verzweigungen (daher »selective sequence«), die auch Rückwärtssprünge erlaubten. Allerdings arbeitete der SSEC noch nicht binär, sondern dezimal. Als Einzelstück von IBM prestigeträchtig im Schaufenster des Hauptfirmensitzes mitten in New York aufgebaut, prägte er mit seinen wuchtigen Röhrenschränken und zahllosen blinkenden Kontrollleuchten das klassische Bild des »Riesenhirns«.

Da die Röhrentechnik für Computer noch in den Kinderschuhen steckte, wurden im SSEC neben 12.500 Röhren auch mehr als 20.000 Relais verwendet. Der Speicher war hierarchisch organisiert und ungewöhnlich groß: 8 Worte schneller Röhrenspeicher, 150 Worte Relaisspeicher und 20.000 Worte Lochstreifenspeicher auf 66 Lochstreifenlesern standen zur Verfügung. Bei einer Wortlänge von 19 Dezimalziffern + Vorzeichen (8 Byte) ergibt sich somit eine binäre Speicherkapazität von ca. 158 KByte. Aufgrund seiner Architektur, seines riesigen Speichers und seiner hohen Rechengeschwindigkeit (er konnte alle vier Grundrechenarten in weniger als 20 ms ausführen) galt der SSEC als Superrechner.

Wallace Eckert führte mit ihm Mondberechnungen durch, die später als Grundlage für das Apollo-Projekt dienten [3]. Man war überzeugt, dass etwa ein Dutzend SSECs den Rechenbedarf der ganzen Welt auf absehbare Zeit decken würden [7]. Schon vier Jahre später allerdings musste das »Superhirn« seinem Nachfolger, dem Modell 701, weichen.

Der 701 »Defense Calculator« (1952)

Das Modell 701 markiert IBMs endgültigen Eintritt in das Computerzeitalter. Zwei Faktoren waren dafür verantwortlich: Zum einen hatte der Erzrivale Remington-Rand den UNIVAC angekündigt, der als erster Computer der Welt in Serie gefertigt werden sollte (der erste Anwender des UNIVAC war übrigens das amerikanische Censusbüro). Zum anderen brach 1950 der Korea-Krieg aus, und Thomas Watson bot Präsident Truman alle verfügbaren Kapazitäten IBMs an, um die Vereinigten Staaten in diesem Krieg zu unterstützen. So entwickelte IBM unter anderem ein Zielgerät für den B-52 Bomber ([3], [7]). Die nationale Rüstungsindustrie benötigte zu jener Zeit dringend Rechenleistung für den Bau von Flugzeugen und Raketen, und IBM entschloss sich, einen universell verwendbaren Superrechner, den »Defense Calculator«, in Angriff zu nehmen. Erst wenige Tage vor seiner Vorstellung 1952 wurde er in »701« umbenannt, was eine neue Produktlinie neben der erfolgreichen 600er-Reihe der Büromaschinen begründete. Die Entwicklung war ein Kraftakt der Firma: Sie wurde von einer geschlossenen Arbeitsgruppe durchgeführt, die nach einem Jahr bereits einen Prototypen präsentieren konnte. Mittlerweile waren in dem Unternehmen Stimmen laut geworden, dass die Entwicklung von Computern den Absatz von Tabelliermaschinen behindern könnte; außerdem sei ungewiss, ob es für solche Maschinen überhaupt einen Markt gäbe. Hier zeigen sich interessante Parallelen zur Entwicklung des IBM-PC im Jahre 1980/81, dem ein Großteil der Firma zunächst aus ähnlichen Gründen sehr skeptisch gegenüberstand [4]. Richtungweisend war die konsequent binäre Architektur des 701. Dadurch wurde die Hardware einfacher, zuverlässiger und leicht erweiterbar (1954 folgte der 704, das erste Modell mit Kernspeicher, später der 709, der erste kommerzielle Computer mit Interrupt-Möglichkeit [15]).

Auf Relais verzichtete man ganz, statt dessen bot der 701 neben 2048 Worten Röhrenspeicher noch 8 KByte Worte Magnettrommelspeicher (was bei einer Wortlänge von 36 Bit einer Speicherkapazität von etwa 50 KByte entspricht). Der »Defense Calculator« arbeitete mit einer Zykluszeit von 12 Mikrosekunden, entsprechend einer Taktfrequenz von 0,083 MHz. Von seiner Entwicklung gingen viele, für die weitere Entwicklung von IBM entscheidende Impulse aus: IBM entwickelte eigene Röhren (das erste elektronische Bauteil, das IBM in Serie herstellte), führte das Hardware-Modulkonzept ein, brachte das Magnetband zur Serienreife und erkannte, dass das binäre Prinzip ungeheure Vorteile brachte.

Der 701 war in der Tat universell einzusetzen: Er wurde von immerhin 19 Kunden verwendet, die ihn für mindestens ebenso viele verschiedene Aufgaben einsetzen konnten. Kommerziell war der Rechner allerdings kein Erfolg, da die Entwicklungskosten die Einnahmen durch die wenigen Kunden bei weitem überstiegen. Für die kommerzielle Datenverarbeitung spielte er jedoch aufgrund der durch seine Entwicklung eingeführten Technologien eine wichtige Vorreiterrolle. Thomas J. Watson kam zu dem Schluß: »We can’t afford it and we’ve got to get the profits up.« [7].

Kommerziell war das Modell 701 kein Erfolg (aus [6])

IBM 650, das »Modell T« (1953)

Das folgende Modell, der »650«, war entscheidend für das weitere Schicksal IBMs. Die neuartigen »Elektronischen Datenverarbeitungsmaschinen« sollten nicht nur Prestige bringen, sondern auch Gewinn abwerfen; Watson setzte das Ziel, Computer kommerziell nutzbar zu machen. Für das neue Modell war daher – neben Zuverlässigkeit und leichter Programmierbarkeit – ein möglichst niedriger Preis oberstes Entwicklungsziel.

Der 650 wurde von demselben Team wie der SSEC entwickelt und arbeitete dezimal. Um Kosten zu sparen, verwendete man anstatt des teuren Röhrenspeichers einen Magnettrommelspeicher. Dieser bestand aus einer 35 cm langen, außen mit einer Kobalt-Nickel beschichteten Trommel von 10 cm Durchmesser, die von 100 bzw. beim größeren Modell von 200 Schreib-Leseköpfen abgetastet wurde und mit der unglaublichen Geschwindigkeit von über 200 Umdrehungen pro Sekunde rotierte. Je fünf Köpfe bildeten ein »Band« und lieferten eine Dezimalziffer, die mit fünf Bit in einer binären Kodierung gespeichert war. Auf einem Band fanden um die Trommel herum 50 Worte zu 10 Ziffern (+ Vorzeichen) Platz, so dass 1000 bzw. 2000 Worte Arbeitsspeicher zur Verfügung standen. So erhielt man einen relativ billigen, großen, zuverlässigen und schnellen Speicher. Die mittlere Zugriffszeit konnte durch das sogenannte Zwei-Adress-Format von 2,4 ms auf 0,8 ms gedrückt werden: Jede Instruktion enthielt einen Verweis auf den nächsten auszuführenden Befehl, so dass bereits während der Ausführung eines Befehls der nächste geladen werden konnte. Des weiteren wurde das »SOAP«-Programm entwickelt, das die Anordnung der Daten auf der Trommel optimierte. Intern arbeitete der 650 mit einer fehlererkennenden binären Kodierung, was ihn sehr zuverlässig machte.

Zwar war er durch die seriell arbeitende Arithmetik nicht besonders schnell; sein einfacher, aber eleganter Befehlsvorrat und seine relativ leichte Bedienbarkeit über eine Steuerkonsole machten ihn demnach für Universitäten und Firmen attraktiv. Mit einem Mietpreis von $3750 pro Monat kostete er nur ein Zehntel des 701-Nachfolgemodells 709; mit 2000 verkauften Maschinen (wie schon beim 701 gab es bei IBM intern Widerstand gegen das Projekt: die Marketingabteilung hatte einen Absatz von 0 Stück prophezeit. [7]) wurde der 650 zum »Modell T der Computerindustrie« [7]. Für viele Wissenschaftler war dieses Modell der erste Kontakt mit einem Computer [10]; Donald E. Knuth widmete seine »Art of Computer Programming« dem 650 »in remembering of many pleasant evenings«.

Mit dem Modell 650 legte IBM die Grundlage für die Vorherrschaft auf dem Computermarkt während der nächsten Jahrzehnte. Mit diesem Produkt hatte man es geschafft, einen ganzen Industriezweig zu legitimieren: Die kommerzielle Vermarktung von Computern war möglich geworden. Der Absatz zeigte, dass tatsächlich Bedarf für solche Geräte bestand und ein Markt dafür existierte, auch wenn man nur wenige Jahre zuvor geglaubt hatte, dass die Rechenleistung weniger SSECs für die gesamte Welt ausreichen würde.

Epilog

Die Geschichte der kommerziellen Datenverarbeitung ist nicht im erster Linie die Geschichte der technischen Entwicklung. Sicherlich waren technologische Innovationen wichtig und hatten ihre Auswirkungen in der kommerziellen Anwendung.

Treibende Kraft waren jedoch zumeist die Bedürfnisse der Anwender, die mit ihren Wünschen die Entwicklung entscheidend mitprägten und letztendlich über Erfolg und Misserfolg eines Produktes entschieden. So waren es nicht immer die Maschinen mit der neuesten Technologie, die sich durchsetzen konnten; das Modell 650 beispielsweise war sicher nicht der beste Computer seiner Zeit. Aber ebenso wie zuvor die Hollerith’schen Tabelliermaschinen, IBMs Buchungsmaschinen und Rechenstanzer, und wie später das System /360 und der IBM-PC war er das Gerät, die zu seiner Zeit am ehesten den Bedürfnissen des Marktes gerecht wurde.

Ein wichtiger Faktor für den Erfolg von IBM war es, über Jahrzehnte hinweg das richtige Modell zum richtigen Zeitpunkt auf dem Markt zu haben.

Danksagungen & Links

Literaturangaben

[1]
IBM 701 Sonderheft, Annals of the History of Computing, Vol.5 No.2, 107-219
[2]
Austrian, G.D.: Herman Hollerith: Forgotten Giant of Information Processing, Columbia Press, New York 1982
[3]
Bashe, Charles J. et al.: IBM’s Early Computers, MIT-Press, Cambridge MA 1986
[4]
Chopsky, J. und Leonsis, T.: Blue Magic – The People, Power and Politics Behind the IBM Personal Computer, Facts-On-File Publications, New York 1988 (ISBN 0-8160-1391-8)
[5]
Goldstine, Herman H.: The Computer from Pascal to Neumann, Princeton University Press, Princeton 1972
[6]
Gonick, Larry: Der Computer Comic, Rowohlt Taschenbuch, Reinbeck 1984
[7]
Hurd, Cuthbert C.: Early IBM Computers: Edited Testimony, Annals of the History of Computing, Vol.3 No.2, 163-182
[8]
Die Geschichte der maschinellen Datenverarbeitung, Band1, IBM Form D12-0028, IBM Deutschland 1991
[9]
IBM Journal of Research and Development, 25th Anniversary Issue, Vol.24 No.5, S.363ff
[10]
Knuth, Donald E.: The IBM 650: An Appreciation from the Field, Annals of the History of Computing, Vol.8 No.1 1986, 50-55
[11]
Metropolis, N. und Howlett, Rota (Eds.): A History of Computing in the 20th century, Academic Press 1980
[12]
Pugh, Emerson W.: Memories That Shaped An Industry – Decisions Leading to IBM System /360, MIT-Press 1984 (ISBN 0-262-16094-3)
[13]
Randell, Brian (Ed.): The Origins of Digital Computers – Selected Papers, Springer-Verlag Berlin, Heidelberg, New York 1973 (ISBN 3-540-06169-X bzw. 0-387-06169-X)
[14]
Rodgers, F.G.: The IBM Way, Harper&Row, New York 1986
[15]
Smith, Richard E.: A Historical Overview of Computer Architecture, Annals of the History of Computing, Vol.10 No.4, 277-301
[16]
Sobel, Robert: IBM und die globale Herausforderung, Orell Füssli Verlag, Zürich 1986 (ISBN 3-280-01658-4)

Weitere Literatur zum Thema

Bashe, Charles J.: The SSEC in Historical Perspective, Annals of the History of Computing, Vol.4 No.4, 296-312
Ceruzzi, P.E.: Reckoners: The Prehistory of Digital Computers – From Relays to the Stored Program Concept (1938-1945), Greenwood Press, Westport, Conn 1983
Maisonrouge, Jacques: Inside IBM, Fontane Paperbacks, 1989 (ISBN 0-00-637396-8)
Rodgers, William: Think: A Biography of the Watsons & IBM, Weidenfeld and Nicolson, London 1970 (ISBN 0-297-00023-3)
Wilkes, M.V. et al.: The Preparation of Programs for an Electronic Digital Computer, Thomas Publishers, Los Angeles, 1983 (Reprint)
Williams, M.R.: A History of Computer Technology, Prentice Hall, Englewood Cliffs, NJ 1985
SPREAD Report: The Origin of the System /360 Project, Annals of the History of Computing, Vol.5 No.1, 4-44

Textbeitrag: (c) 1998 Stefan Winterstein

Vielen Dank an Stefan Winterstein für die freundliche Genehmigung diesen Beitrag hier zu veröffentlichen. Verbreitung dieses Textes außerhalb des 8Bit-Museums.de nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.

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